Erleichterter Zugang zur Mundgesundheitsversorgung

ADOPTED by FDI General Assembly October, 1998 in Barcelona, Spain
REVISED by FDI General Assembly September, 2021 in Sydney, Australia

Kontext

Obwohl weitgehend zu vermeiden, gehören Oralerkrankungen zu einem Leiden mit hoher Prävalenz, das mehr als 3,5 Milliarden Menschen weltweit betrifft.1 Orale Erkrankungen haben erhebliche Auswirkungen und Folgen, verursachen Schmerzen, können eine Sepsis auslösen, verringern die Lebensqualität, führen zu versäumten Schul- und Arbeitstagen und familiären Problemen und verringern die Arbeitsproduktivität.   Die Kosten für die zahnmedizinische Behandlung können sowohl für die betroffene Person als auch für das Gesundheitssystem2 beträchtlich sein. Es gibt zahlreiche Faktoren, die die Mundgesundheit, die Prävalenz und den Schweregrad oraler Erkrankungen beeinflussen. Allerdings ist der Zugang zu einer adäquaten, qualitativ hochwertigen und bezahlbaren zahnmedizinischen Versorgung nach wie vor ein Haupthindernis auf dem Weg zu einer optimalen Mundgesundheit.

Zu den wichtigsten Hindernissen des Zugangs und der Nutzung zahnmedizinischer Versorgungsangebote zählen Faktoren wie der allgemeine Wissensstand über die Mundgesundheit und die Kosten, ungleichmäßige geographische Verteilung von Mundgesundheitsteams, geringer Stellenwert der Mund- und Zahngesundheit, kulturelle Werte und grundsätzliche Verhaltensweisen, die einem gesunden Leben nicht förderlich sind, nur episodisch verfügbare Möglichkeiten für Prävention und routinemäßige Behandlungen, fehlende Kranken- oder zusätzliche Zahnbehandlungsversicherungen, der fehlende politische Wille, die Mundgesundheit zu einem festen Bestandteil der grundlegenden medizinischen Versorgung zu machen, und weitere soziale und wirtschaftliche Faktoren.3,4

Diese überarbeitete Stellungnahme bekräftigt den Standpunkt der FDI, der das Ziel eines gleichberechtigten Zugangs zur zahnmedizinischen Versorgung der gesamten Bevölkerung unterstützt, Hindernisse für den Zugang zu einer zahnmedizinischen Versorgung beseitigen will und hinter der Überzeugung steht, dass die Universelle Gesundheitsversorgung (UHC) eine Gelegenheit bietet, die zahnmedizinische Behandlung besser in die allgemeine Gesundheitsversorgung zu integrieren und sie zugänglicher für die allgemeine Bevölkerung unter Berücksichtigung des vorhandenen zahnmedizinischen Behandlungsbedarfs zu machen.5

 

Geltungsbereich

 Die Stellungnahme befasst sich mit Hindernissen für den Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung und deren Nutzung auf Individual-, Gemeinschafts-, Organisations-, Institutions- und Systemebene.  Sie schlägt evidenzbasierte und gemeindenahe Strategien vor, die die Mundgesundheit unter Beteiligung aller Mitglieder des zahnärztlichen Teams und von anderem nicht-zahnärztlichen Personal in die allgemeine Gesundheitsversorgung integriert. Die FDI ist der Meinung, dass ein gleichberechtigter Zugang für alle eine wichtige Voraussetzung ist. Die vorliegende Stellungnahme ergänzt deshalb konsequent andere FDI-Stellungnahmen zu Bevölkerungs-Untergruppen mit einem potenziell ungleichen Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung, dazu zählen Flüchtlinge und Vertriebene6, unterversorgte und gefährdete Bevölkerungsgruppen7, Menschen mit Behinderungen8 und die ältere Bevölkerung9.

 

Definitionen

  1. Zugang: „Freiheit oder Fähigkeit, etwas in Anspruch nehmen oder nutzen zu können“
  2. Zugänglichkeit: „Möglichkeit einer einfachen Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen trotz finanzieller, organisatorischer, kultureller, geographischer und emotionaler Hindernisse“11
  3. Inanspruchnahme: „Tatsächliche Nutzung einer angebotenen Dienstleistung“10
  4. Universelle Gesundheitsversorgung: „Sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu der erforderlichen Gesundheitsversorgung (einschließlich Prävention, Förderung, Behandlung, Rehabilitation und Palliativversorgung) in effektiver und ausreichender Qualität haben, wobei ebenfalls zu gewährleisten ist, dass die Inanspruchnahme dieser Dienstleistungen den Nutzer nicht übermäßigen finanziellen Belastungen aussetzt.“12

 

Grundsätze

Unterziel 3.8 des Ziels 3 der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung 2030 (gesundes Leben und Wohlergehen) fordert: „Die allgemeine Gesundheitsversorgung, einschließlich der Absicherung gegen finanzielle Risiken, den Zugang zu hochwertigen grundlegenden Gesundheitsdiensten und den Zugang zu sicheren, wirksamen, hochwertigen und bezahlbaren unentbehrlichen Arzneimitteln und Impfstoffen für alle erreichen.“ 13

 

Stellungnahme

1. Die FDI erklärt:

  • Die Mundgesundheit lässt sich nicht von der Allgemeingesundheit trennen
  • Orale Erkrankungen und andere nichtinfektiöse Krankheiten (NCD) haben gemeinsame Risikofaktoren wie Tabakkonsum, Bewegungsmangel, Fettleibigkeit, ungesunde Ernährung, übermäßiger Zuckerkonsum, Tabakkonsum, schädlicher Alkoholkonsum und HPV-Infektion
  • Eine schlechte Mundgesundheit steht im Zusammenhang mit zahlreichen – meistens bidirektionalen –  NCD, darunter Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen,  Krebs und ungünstige Geburtsausgänge. 

2. Die FDI unterstützt:

  • Die Integration einer zahnmedizinischen Versorgung in die Universelle Gesundheitsversorgung (UHC) zur Verbesserung der Zahn- und Mundgesundheit und zur Verringerung eines ungleichen Zugangs zur Gesundheitsversorgung
  • die Forderung, dass alle Initiativen zur Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung durch Reformen von Versicherungsangeboten auch zahnärztliche Leistungen beinhalten sollten.

3. Die FDI empfiehlt:

  • Die Stärkung der Handlungskompetenz von Patienten, um zahnmedizinische Leistungen in Anspruch nehmen zu können, indem Aufklärungsarbeit geleistet wird, kulturell kompetentes Informationsmaterial über bessere Mundgesundheit in einfacher Sprache eingesetzt wird, zahnmedizinische Behandlungen koordiniert werden und individuelle und strukturelle Hemmnisse für zahnmedizinische Behandlungen beseitigt werden.
  • Die Integration der Förderung der Mundgesundheit und der Aufklärungsarbeit in Tätigkeiten im Bereich der Prävention und Kontrolle im Kontext anderer NCD im Sinne einer besseren Volksgesundheit, der Verringerung von Gesundheitsdisparitäten und der Minimierung der Kosten im Gesundheitswesen.
  • Die Integration der Mundgesundheit in die gesundheitsfördernden Dienste und Maßnahmen in allen in Frage kommenden Strukturen wie Schulen, Heimen und Palliativpflegeeinrichtungen.
  • Die Integration der Bildungsmaßnahmen im Bereich Mundgesundheit, Screening, Prävention und Förderung in die medizinische Grundversorgung mit dem Ziel einer sicheren, gerechten und ganzheitlichen zahnmedizinischen Versorgung für alle Menschen während ihrer Lebenszeit.
  • Die Integration der Mund- und Zahngesundheit in die Allgemeingesundheit und umgekehrt und damit auch in die berufliche Ausbildung, Fortbildung und Forschung. 
  • Die Integration der Mund- und Zahngesundheit in die Advocacy-Arbeit für gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich der Allgemeingesundheit einschließlich der Gesetze zur Tabakkontrolle, gegen Alkoholmissbrauch, zusätzlichen Zuckerverbrauch und für die Prävention von Fettleibigkeit.
  • Den effektiven und zweckmäßigen Einsatz aller Mitglieder des zahnmedizinischen Teams entsprechend der Definition ihrer Berufsausübung in jedem Land/jeder Region, um die Bevölkerung besser zu versorgen.
  • Verbesserung des Zugangs von Patienten zu fachärztlicher Versorgung, falls erforderlich, entweder in der Zahnklinik oder in einem Krankenhaus
  • Die Erhebung von Daten mittels einer effektiven Überwachung zur Unterstützung, Bestimmung und Evaluierung gesundheitspolitischer Maßnahmen zur Verbesserung der Mund- und Zahngesundheit.
  • Die Erweiterung des Wirkungsbereichs zahnmedizinischer Teams durch innovative Methoden wie Telezahnmedizin und mobile Zahnmedizin.
  • Die Übernahme des „Dental Home“-Konzepts als kontinuierliche Beziehung zwischen Patient und Zahnarzt unter Einbeziehung aller Aspekte einer kontinuierlichen Mund- und Zahngesundheitsversorgung mit dem Patienten  im Mittelpunkt.14

4. Die FDI stellt fest, dass abgesehen von zahnmedizinischen Teams alle Fachkräfte im Gesundheitswesen ihre Aufgaben beim Erhalt der Zahn- und Mundgesundheit wahrnehmen müssen. Dies lässt sich erreichen, indem Patienten von Nichtzahnmedizinern nach einer ersten Untersuchung zur zahnmedizinischen Versorgung überwiesen werden, indem topische Fluoride verwendet werden, und indem Patienten darin unterwiesen werden, mit dem Rauchen aufzuhören, sich gesund zu ernähren, weniger Zucker und Alkohol zu konsumieren und eine effektive Mundhygiene zu befolgen..

5. Die FDI setzt sich bei den Regierungen dafür ein, dass Angehörige zahnmedizinischer Berufe, die in unterversorgten Gebieten arbeiten würden, mit finanziellen Anreizen dazu motiviert werden.

 

Schlüsselwörter

Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung, Inanspruchnahme der zahnmedizinischen Versorgung, Universelle Gesundheitsversorgung, Dental Home-Konzept

 

Disclaimer

Die Informationen in dieser Stellungnahme basieren jeweils auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Sie können so ausgelegt werden, dass sie existierende kulturelle Sensibilitäten und sozioökonomische Zwänge widerspiegeln.

 

Literaturhinweise

  1. GBD 2016 Disease and Injury Incidence and Prevalence Collaborators. Globale, regionale und nationale Inzidenz, Prävalenz und Jahre mit Behinderung für 328 Krankheiten und Verletzungen für 195 Länder, 1990-2016: eine systematische Analyse für die Global Burden of Disease Studie 2016. Lancet. 2017;390(10100):1211-1259. Abrufbar unter: doi.org/10.1016/S0140-6736(17)32154-2
  1. Peres M, Macpherson L, Weyant RJ, et al. Oral diseases: a global public health challenge. Lancet. 2019;394: 249–260. Available from: doi:10.1016/S0140-6736(19)31146-8
  1. Freeman R. Barriers to accessing dental care: patient factor. Br Dent J 1999 :       187 : 141–144. Available from :doi:10.1038/sj.bdj.48002244.
  1. Kandelman DArpin SBaez RJ, et al. Oral health care systems in developing and developed countries. Periodontol 2000. 2012:60(1): 98-109. Available from: doi: 10.1111/j.1600-0757.2011.00427
  1. Fisher J, Selikowitz HS, Mathur M, Varenne B. Strengthening oral health for universal health coverage. Lancet. 2018:15;392(10151):899-901. Available from: doi: 10.1016/S0140-6736(18)31707-0.
  1. FDI-Stellungnahme „Grundlegende zahnmedizinische Versorgung von Vertriebenen“  ANGENOMMEN auf der FDI-Generalversammlung ANGENOMMEN auf der FDI-Generalversammlung 2018 in Buenos Aires, Argentinien. Abrufbar unter https://www.fdiworlddental.org/resources/policy-statements/providing-basic-oral-healthcare-for-displaced-persons
  1. FDI-Stellungnahme „Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung gefährdeter und unterversorgter Bevölkerungsgruppen. ANGENOMMEN AUF DER FDI-GENERALVERSAMMLUNG IM SEPTEMBER 2019 IN San Francisco, Vereinigte Staaten Abrufbar unter https://www.fdiworlddental.org/resources/policy-statements/access-to-oral-healthcare-for-vulnerable-and-underserved
  1. FDI-Stellungnahme „Mundgesundheit und Zahnversorgung für Menschen mit Behinderung“. ANGENOMMEN auf der FDI-Generalversammlung im September 2016 in Poznań, Polen. Abrufbar unter https://www.fdiworlddental.org/resources/policy-statements-and-resolutions/oral-health-and-dental-care-of-people-with-disabilities
  2. FDI-Stellungnahme „Mundgesundheit für gesundes Altern“ ANGENOMMEN auf der FDI-Generalversammlung im September 2009 in Singapur, Singapur ÜBERARBEITET IM September, 2015 in Bangkok, Thailand. Abrufbar unter https://www.fdiworlddental.org/resources/policy-statements-and-resolutions/oral-health-for-healthy-ageing
  3. Palmer RH. Definitions and data. In: Greene R, ed. Assuring quality in medical care. Cambridge, MA: Ballinger Publishing Co., 1976: 13–24, 50–4
  4. Mathur MR, Williams DM, Reddy KS, Watt RG. Universal Health Coverage. A Unique Policy Opportunity for Oral Health. J Dent Res. 2015:94(3): 3S–5S.
  5. Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN, Zugang 14. November 2019, unter: https://www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/
  1. American Academy of Pediatric Dentistry. Definition of dental home. The Reference Manual of Pediatric Dentistry. Chicago, Ill.: American Academy of Pediatric Dentistry; 020:15. Available from: https://www.aapd.org/media/Policies_Guidelines/D_DentalHome.pdf [Accessed 09 August  2020]

PDF herunterladen