Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung gefährdeter und unterversorgter Bevölkerungsgruppen

ADOPTED by FDI General Assembly September, 2019 in San Francisco, United States of America

Kontext

Während viele Menschen in der Lage sind, routinemäßig eine präventive und therapeutische zahnmedizinische Versorgung in traditionellen Zahnarztpraxen in Anspruch zu nehmen, hat eine unverhältnismäßig hohe Anzahl von unterversorgten und gefährdeten Menschen diese Möglichkeit nicht. Leider stehen die großen technologischen und wissenschaftlichen Fortschritte, die in letzter Zeit bei der Behandlung vieler Zahnerkrankungen erzielt wurden, nicht allen Bevölkerungsgruppen in gleicher Weise zur Verfügung. Unterversorgte und gefährdete Bevölkerungsgruppen sehen sich anhaltenden und systemimmanenten Barrieren für den Zugang zu einer zahnmedizinischen Versorgung gegenüber1. Diese Barrieren sind zahlreich und komplex und beinhalten unter anderem soziale, kulturelle, wirtschaftliche, strukturelle und geografische Faktoren.

Die vorliegende Stellungnahme steht im Einklang mit der FDI-Strategie für die Jahre 2018 bis 2021, die ausdrücklich darauf hinweist, dass „mehr Initiativen erforderlich sind, um unterversorgte und gefährdete Bevölkerungsgruppen zu erreichen”.2

Geltungsbereich

Die vorliegende Stellungnahme beschreibt einen möglichen Weg zur zahnmedizinischen Behandlung unterversorgter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen während des menschlichen Lebenszyklus. Die FDI ist sich der unterschiedlichen und vielfältigen Bedarfssituationen der unterversorgten und gefährdeten Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Ländern und der großen Unterschiede in der Gesundheitsversorgung dieser Länder bewusst. Diese Stellungnahme will jedoch die Fürsprecher der Mundgesundheit und zahnmedizinische Fachkreise motivieren, im Interesse unterversorgter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen zu handeln und die notwendigen Schritte zu unternehmen, um den Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung zu verbessern, etwas gegen die Unwissenheit in Mundgesundheitsfragen zu unternehmen, das Konzept der universellen Gesundheitsversorgung zu fördern und die Mundgesundheit insgesamt zu verbessern

Definitionen

Gefährdete Bevölkerungsgruppen: Personen, die aufgrund allgemeiner Umstände oder ihres Status als Mitglieder ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten oder als Kinder, ältere Menschen, Uinterversicherte oder Personen mit bestimmten Erkrankungen ein höheres Risik haben, bei der Gesundheitsversorgung benachteiligt zu werden. Mitglieder dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppen haben oft gesundheitliche Probleme, die durch eine nicht zwingende unzureichende Gesundheitsversorgung verschärft werden1,3,4.

Unterversorgte Bevölkerungsgruppen: Gemeinschaften, die aufgrund wirtschaftlicher, kultureller und/oder sprachlicher Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten, aufgrund der Unkenntnis des Gesundheitssystems oder weil dessen Leistungserbringer nicht schnell verfügbar oder physisch zugänglich sind, eine weniger als adäquate Gesundheitsversorgung erhalten1,3,4.

Grundsätze

Zwei der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen5, „Gesundheit und Wohlbefinden“ und „Verringerung von Ungleichheit“, werden in dieser Stellungnahme thematisiert.

Stellungnahme

  1. Die FDI fordert die Regierungen auf, in Zusammenarbeit mit nationalen Zahnärzteverbänden (NDA) Verfahren für die Finanzierung, Erbringung von Leistungen und Reglementierungen zu prüfen, die zu einer Verbesserung der Reichweite der zahnmedizinischen Versorgung und des Zugangs zur zahnmedizinischen Behandlung unterversorgter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen führen könnten.
  2. Die FDI will die Förderer der Mundgesundheit und politische Entscheider dazu bringen, mit Hilfe evidenzbasierter Strategien und Interventionen Hindernisse für die zahnmedizinische Versorgung gefährdeter und unterversorgter Bevölkerungsgruppen zu beseitigen; dazu gehören Unwissenheit in Mundgesundheitsfragen, fehlende Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Mundgesundheit und allgemeiner Gesundheit sowie sonstige Faktoren, die die Inanspruchnahme zahnmedizinischer Versorgung beeinflussen können6.
  3. Die FDI fordert die Akkreditierungsstellen für die Ausbildungsprogramme im Grund- und Hauptstudium im Bereich der nichtzahnärztlichen Gesundheitsversorgung auf, Kompetenzen im Bereich Mundgesundheit in ihre Akkreditierungsanforderungen zu integrieren.
  4. Die FDI fordert Länder auf, ihre Gesetze und Rechtsvorschriften über den Einsatz von zahnärztlichem Assistenzpersonal entsprechend der FDI-Stellungnahme „Beaufsichtigung zahnmedizinischen Fachpersonals“7 zu ändern, damit
    • die umfassendere und geschätzte Mitwirkung des zahnärztlichen Assistenzpersonals unter evidenzbasierter Aufsicht7-10 erfolgen kann;
    • sichergestellt ist, dass zahnärztliches Assistenzpersonal über die entsprechenden Kompetenzen, Qualifikationen, Ausbildungen und Fähigkeiten verfügt, um die vom beaufsichtigenden Zahnarzt übertragenen Aufgaben zu bewältigen7;
    • gewährleistet ist, dass die Sicherheit, Effizienz, Effektivität und Nachhaltigkeit unterschiedlicher Modelle der zahnmedizinischen Versorgung durch Erkenntnisse aus fundierter Forschungsarbeit unterstützt werden7;
    • eine technologiegestützte Remote-Zusammenarbeit und Remote-Überwachung möglich wird (Teledentistry)7-10.
  5. Die FDI befürwortet zahnmedizinische Ausbildungsgänge, die für eine größere Zahl von Studenten aus unterversorgten, gefährdeten, benachteiligten und unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen offenstehen, und befürwortet ebenfalls deren finanzielle Unterstützung.
  6. Die FDI setzt sich dafür ein, dass zahnmedizinische Fakultäten und Ausbildungsprogramme die Möglichkeiten für Rotations-Weiterbildung im Rahmen von Postgraduierten-Residency-Programmen (Arzt im Praktikum) in gemeindebasierten Einrichtungen in unterversorgten Gebieten unterstützen und erweitern.
  7. Die FDI setzt sich dafür ein, dass zahnmedizinische Fakultäten ihren Studenten einen besonderen Studiengang anbieten, damit sie sich mit der komplexen Mundgesundheitsthematik unterversorgter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen auseinandersetzen können, indem ihnen die Möglichkeit gegeben wird, an einer relevanten gemeindebasierten Ausbildung teilzunehmen und mit interdisziplinären Teams in unterversorgten Gebieten zusammenzuarbeiten.
  8. Die FDI setzt sich dafür ein, dem staatlichen und privaten Sektor und den Basisorganisationen auf Gemeindeebene in Zusammenarbeit mit den NDA Mittel für die Durchführung von Projekten bereitzustellen, die wichtige präventive und therapeutische Gesundheitsdienste und Maßnahmen für die Förderung der Mundgesundheit unterversorgter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen beinhalten.
  9. Die FDI setzt sich bei Regierungen, privaten Stiftungen und NDA dafür ein, mehr Mittel für die Mundgesundheitsforschung und ihre Evaluierung im Kontext unterversorgter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen bereitzustellen. Dazu gehören:
    • Neue Methoden und Technologien (z. B. nicht-traditionelle Praxen, Nichtzahnmediziner und Telemedizin);
    • Messungen des Zugangs, der Qualität und der Ergebnisse;
    • Zahlungs- und Reglementierungssysteme.
  10. Die FDI setzt sich bei den Regierungen dafür ein, mehr finanzielle Anreize für die Anwerbung und Bindung zusätzlicher zahnmedizinischer Fachkräfte zu bieten, damit diese die wichtige zahnmedizinische Behandlung unterversorgter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen übernehmen.
  11. Die FDI setzt sich für nationale und internationale Bündnisse ein, die unter Berücksichtigung der sozialen Determinanten für die Gesundheit die Mundgesundheit unterversorgter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen verbessern.

Disclaimer

Die Informationen in dieser Stellungnahme basieren jeweils auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Sie können so ausgelegt werden, dass sie existierende kulturelle Sensibilitäten und sozioökonomische Zwänge widerspiegeln.

Literaturhinweise

  1. Waisel DB, 2013. Vulnerable populations in healthcare. Current Opinion in Anaesthesiology. 4;26(2):186-92.
  2. FDI-Strategieplan 2018-2021, Zugriff am 11. Dezember 2018, unter https://www.fdiworlddental.org/fdi-at-work/advocacy/fdi-advocacy-strateg...
  3. Oral health for an ageing population. FDI World Dental Publications. Zugriff am 16. Dezember 2018 unter https://www.fdiworlddental.org/resources/toolkits/roadmap-for-healthy-ag....
  4. Populations Serving Vulnerable and Underserved Populations, 2018. Zugriff am 14. Dezember https://marketplace.cms.gov/technical-assistance-resources/training-mate....
  5. 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN, Zugriff am 14. Dezember 2018: https://www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/. Accessed 14 December 2018
  6. Reda SM, Krois J, Reda SF, Thomson WM, Schwendicke F, 2018. The impact of demographic, health-related and social factors on dental services utilization: Systematic review and meta-analysis. Journal of Dentistry. Aug;75:1-6. doi: 10.1016/j.jdent.2018.04.010. Accessed 16 Apr 2018.
  7. FDI-Stellungnahme Beaufsichtigung zahnmedizinischen Fachpersonals, ANGENOMMEN von der FDI-Generalversammlung im November 2000 in Paris, Frankreich. ÜBERARBEITET im September 2015 in Bangkok, Thailand, Zugriff unter https://www.fdiworlddental.org/resources/policy-statements-and-resolutio...
  8. Blue CM, Kaylor MB, 2016. Dental therapy practice patterns in Minnesota: a baseline study. Community Dent Oral Epidemiol. Oct;44(5):458-66. doi: 10.1111/cdoe.12235. Accessed 25 Apr 2016.
  9. Naughton DK, 2014. Expanding oral care opportunities: direct access care provided by dental hygienists in the United States. J Evid Based Dent Pract. Jun;14 Suppl:171-82.e1
  10. Bailit HL, Beazoglou TJ, DeVitto J, McGowan T, Myne-Joslin V, 2012. Impact of dental therapists on productivity and finances: I. Literature review. Journal of Dental Education. Aug; 76(8):1061-7.

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